Mani wheels (Prayer wheels) und Manisteine in Samagaun
Never change a running system.
Ich habe immer geglaubt, dass ich Chaos mag. Dann kam ich in Kathmandu an und mir wurde gezeigt, dass dem nicht so ist. Dass die mitteleuropäische Ordnung ein integraler Bestandteil meiner Lebensfreude ist.
Wenn man öffentliche Lebensbereiche ( den Verkehr, Handel, etc.. ) in KTM länger beobachtet, müsste man meinen, dass es keine konsistenten und strukturierten Abläufe gibt. Sobald ich das Gefühl hatte, beispielsweise das Verkehrssystem durchschaut zu haben und ich mich endlich traute, eine Straße in der Rush Hour zu überqueren, kam aus dem Nichts ein Moped, um abrupt und hupend 2 Zentimeter von mir entfernt zu bremsen.
Trotz der intransparenten Systeme scheint vieles für die Einheimischen zu funktionieren. Mir ist aufgefallen, dass unter den Menschen ein kollektiver Flow herrscht, der sehr auf gegenseitiges Vertrauen und Menschenkenntnis basiert. Was die herzliche und verständnisvolle Umgangsform der Nepalesen erklärt. Und die Tatsache, dass niemand bei dem lebensgefährlichen Verkehr Road Rage ausübt.
Dann wiederum gibt es vieles in der Stadt das nicht funktioniert, wie beispielsweise die Müllentsorgung. Als ich einmal aus dem Bus heraus den Straßenkötern bei ihrer Futtersuche in einem 2qm großen Bedeutungsberg zusah, fragte ich mich wann der technologische Zugang zur Bildung die Korruptheit der Regierung und damit auch die Vermüllung der Stadt beseitigen würde. "An Smartphones mangelt es hier zumindest nicht." dachte ich mir während neben mir im Bus ein jugendliches Geschwisterpaar sich auf TikTok ihrer täglichen Dosis Dopamin bediente.
Urban Lifestyle aber anders.
Es ist interessant wie der nepalesische Lebensstandard vom Touristenviertel in Kathmandu aus nicht einmal so niedrig wirkt. Bis man nur wenige Kilometer hinaus sich inmitten der Slums wiederfindet. Man sieht Slums immer wieder in Dokumentationsfilmen und auf Spendenbildern aber in der Realität treffen die Szenen einen doch anders. Menschen die auf einem jeweils 1qm großen Fleckchen Erde schlafen / sitzen / plaudern / kochen / essen. Den produzierten Müll in jenem benachbarten Fluss werfen in dem wenige Minuten später gebadet und gewaschen wird. Mit Sand zwischen den Zehen und Staub in den Augen durch die Gegend schlendern und nach Nahrungsmitteln für den kommenden Tag Ausschau halten. Diese Anblicke erinnerten mich an ein (Hippie-) Festivalgelände mit einem hoffnungslosen Touch von Permanenz.
Empfinden Menschen Sehnsucht nach höherer Lebensqualität wenn sie diese noch nie genossen haben? Bei dieser Frage muss ich an ein Zitat aus "Maikäfer, flieg!" denken: "Vom Frieden wusste ich als Kind genauso wenig, wie die Kinder heute vom Krieg wissen: ein paar verjährte Bilder und ein verwirrtes Staunen, dass es ihn anderswo gibt."
Wir erkannten immer wieder auf dieser Reise: Nur weil du einige Kilometer zu östlich auf die Welt gekommen bist, bist du dazu verdammt ein armes Leben zu führen.
Diese Einsicht brachte meine persönlichen Probleme temporär in Perspektive.
So sehr mich der Kulturschock auch geistig bereichert hat, aber ich konnte es kaum erwarten mich in der wilden Natur in Sicherheit wiegen zu dürfen.
Denk an die Kinder.
Als wir nach einer weiten und wilden Busfahrt von der smog-umhüllten Hauptstadt in einem touristenlosen Dorf am Fuße des Himalaya ankamen und scheu, wie Rehe im Scheinwerferlicht, unsere erste authentisch bescheidene Unterkunft, aber schließlich auch die Dorfbewohner und ihre Lebensverhältnisse begutachteten, stellten wir schnell fest, dass wir ebenso von den Bewohnern beobachtet wurden. Aber nicht auf eine "Fremdkörper sind in unseren Organismus eingedrungen. Eliminierung!"-Art und Weise, sondern wie als wären wir Personen des öffentlichen Lebens.
Und auch die kommenden Tage bestätigten, dass wir für die Einheimischen genauso interessant waren, wie sie für uns. Wenn wir Dorfbewohner gebeten haben, Fotos von ihnen zu machen, wurden wir selbst nur wenige Minuten später auch von ihnen gefragt, ob sie uns fotografieren dürfen. Tit for Tat.
Das Haupterkennungsmerkmal des touristischen Trail-Dorfes war, abgesehen von den hohen Lebensmittelpreisen, dass Dorfkinder über die Jahre gelernt haben, statt "Namaste" (Hallo auf nepalesisch), "Namaste Un Ballon" zu sagen, um von den (oftmals französischen) Touristen Luftballons abzustauben. Und wenn wir einem Kind ein Spielzeug oder ein Luftballon in die Hand drückten, konnten wir uns ziemlich sicher sein, dass Minuten später eine ganze Herde an Kindern vor uns stehen wird um Free Goodies zu erhalten.
Obwohl wir im Laufe der Reise eine neue Angst entwickelt haben, und zwar die vor hustenden Dorfkindern, kam ich hin und wieder in Versuchung eines der Kinder einfach einzupacken und mitzunehmen. Sie waren die süßesten, neugierigsten und unschuldigsten Wesen ever. Sie haben verkörperlicht, was ich mir intuitiv unter Kind-sein vorstelle.
Eine Szene habe ich noch gut im Kopf, als wir auf einem Gipfel zwischen den Dörfern Barpak und Laprak das neue Jahr im nepalesischen Kalender mit vielen Nepalesen begrüßt haben und ich auf der Wiese saß um die Kulisse in meinem Notizbuch nachzuzeichnen. Schon wenige Sekunden nachdem ich meinen Kugelschreiber gezückt hatte, standen Kinder hinter mir um mir beim Zeichnen zuzusehen. Und eine halbe Stunde später, als ich mit meinem Sketch fertig war, saßen meine treuen Follower immer noch hinter mir. Wer braucht schon Instagram.
Am letzten Tag unseres Treks hat mich ein älteres Kind gefragt, ob ich einen Tipp habe, wie man einen helleren Hautton bekommt. Und wir haben auf unserer Reise oft mitbekommen, wie wichtig den Einheimischen die Hautfarbe ist, vor allem den Teenagern bei der Partnersuche. Was ich richtig schade und doch irgendwie interessant in einem Land von Dunkelhäutigen fand. Ich frage mich, wie weit diese oberflächliche Kategorisierung auf anderen Kontinenten, in beispielsweise mittelamerikanischen oder afrikanischen Ländern, ausgeprägt ist.
Gate auf dem Weg zum buddhistischen Tempel Pung Gyen Gompa
Der Himalaya - Hochgebirge
Als sich nach wenigen Tagen im Himalaya endlich ein Panorama aus Bergen vor uns erstreckte, empfand ich das übliche Gefühl, mich auf internationalem Boden zu befinden, da ich persönlich Gebirge nicht bzw. nicht intuitiv mit politischen Ländern assoziiere.
Und doch strahlten die Berge des Himalaya so eine außergewöhnliche und einzigartige Macht aus, wie ich sie in Europa noch nie erlebt habe. Nepal ist anders.
Um uns herum eröffneten sich immer größer werdende Berge: 5k, 6k, 7k, 8k.
Ich hatte vor der Reise gehofft, dass diese Zahlen weniger abstrakt klingen, wenn ich das Gebirge mal vor mir hab, aber als ich dann von einem Trogtal aus auf die vielen Gipfel
starrte, war ich nach wie vor perplex. Die Sechstausender sahen ähnlich aggressiv aus wie die Achttausender. Und bei unterschiedlichen Entfernungen auch ähnlich groß. Ich erkannte mal wieder, wie schwer sich mein Gehirn bei der Vorstellung von Größenordnungen tut.
Und diese Unbeholfenheit verstärkt den Respekt vor den Bergen umso mehr. Während ich mich in den Alpen von den Bergen normalerweise angezogen fühle, fühlte ich mich im Himalaya von ihnen abgestoßen. Als wollten sie mich warnen: Ich sei zu unerfahren und nicht würdig sie zu besteigen. Aber es war okay.
Der links-mittige Berg der von Schnee bedeckt ist und zwei Zipfeln hat ist der Manaslu, der Berg den wir umrundet haben.
Fun Fact: die meisten Berge unter 6k im Himalaya haben keinen Namen weil sie zu niedrig und unwichtig sind
Der Himalaya - Flora
Aufgrund der Natur unserer Reise, die im tropischen Urwald bei etwa 700 Höhenmeter begann und im trockenen Hochgebirge bei 5106 Höhenmeter ihren Höhepunkt hatte, hatten wir das Glück, eine reiche Palette an Pflanzenarten zu bewundern.
Am meisten fällt der Rhododendron auf, der in Nepal als Nationalblume gilt, weil er gefühlt überall dort wächst.
Um sich der verschiedenen und exotischen Pflanzenarten bewusst zu werden, hilft es einen europäischen Botaniker dabei zu haben, der bei jeder dritten Blume stehen bleibt, um sie zu analysieren.
Die Wälder, vor allem zwischen Larke Pass und Bimthang, waren einfach atemberaubend.
Die Waldspaziergänge fühlten sich wie psychedelische Trips an.
Vor der Reise habe ich das Videospiel "God of War (2018)" gespielt, bei der ein Charakter (Freya) eine Hütte unter einer Riesenschildkröte in einem magischen Wald besitzt. Als ich die Szene zum ersten Mal gesehen habe, war ich sprachlos verzaubert von den Bildern. Als wir am vorletzten Tag durch den Urwald marschierten, kamen wir an einer offenen Stelle mit vielen Felsen, die mit Moos übersät waren, vorbei. Mittendrin ein riesiger markanter Fels (auf dem Bild unten links) auf dem Bäume und Sträucher wuchsen und ich war komplett geflasht, weil es wie die Szene aus dem Spiel war aber 100x besser. Der Fels sah wie die Riesenschildkröte aus und ich war in der Ekstase meines Lebens.
Handykameras sind Mogelpackungen. Auf dem Weg von Bimthang nach Tilche.
Der Himalaya - Fauna
Unsere treuesten Begleiter auf dem Trek, neben Gecko, dem süßesten Doggo in ganz Philim und Umgebung, waren die Mulis (Kreuzung aus Pferd und Esel), die all die höher liegenden Dörfer mit den guten Waren belieferten und unseren Trail mit ihren Exkrementen verzierten.
Ab einer gewissen Höhe wird der Transport jedoch von Yaks übernommen. Wir haben sogar auf 4 000 Höhenmetern vereinzelt welche gesehen, die aus ihrer Herde ausgebrochen sind, um das High Life zu leben (und hoffentlich nicht zu sterben). Yaks sind die flauschigsten Rinder weit und breit und angeblich werden sie in Nepal eher weniger zu Fleisch verarbeitet (und ihre Milch soll scheinbar nicht gut schmecken).
Steinböcke, Ziegenböcke und Murmeltiere waren auf unserer Reise auch mit von der Partie.
Cute Yak auf dem Weg von Samdo nach Daramsala.
Keine Gnade für die Wade.
Im Zuge der Wanderung liefen mir alle Motivationssprüche und Mantras die ich in meinem Leben akkumuliert habe durch den Kopf.
"Wenn nicht ich, wer dann?" oder "Wenn andere es schaffen, dann schaffe ich es erst recht."
"Nur die Harten kommen in den Garten"
"Let whatever wants to happen happen"
"Schmerz ist Schwäche die den Körper verlässt"
Ich musste alle Hebel in Bewegung setzen um mehrmals über meine Grenzen zu gehen, physisch und psychisch. Die Anstrengung jeden Morgen den 12 Kilo Rucksack packen zu müssen und mehrere Stunden unter (extrem) wechselnden Wetterbedingungen viele Höhenmeter auf großen Höhen zurückzulegen bis man die nächste Unterkunft erreicht hat.
All die Stiegen, all der Staub, all der Schnee.
Die Hitze, die Kälte.
Die Höhen, die Tiefen.
Manchmal die Einsamkeit.
Und manchmal die Hilflosigkeit.
Wie wir mehrmals gesagt haben: Die Reise hat für alles neue Maßstäbe gesetzt. Für alles.
La Cucina.
Obwohl sie in jeder Unterkunft, in der wir verbleiben durften, mit all den Kesseln, den offenen Feuern, den dunklen und modrigen Holzmöbeln und der mangelnden Hygiene eher einer Hexenküche glich, habe ich mich bei der nepalesischen Küche stets zu Hause gefühlt. Ich denke hierbei an ein wundervolles Love Child von kaukasischer und indischer Küche: Mo:Mo, wie ich sie aus Armenien als georgische Chinkali kenne, Tibetan Bread die an übergroße russische Pischki erinnern und Dal Bhat, ein Tablett das die besten kulinarischen Kreationen Indiens vereint: Dal (Linsen- oder Bohnensuppe), Curry mit regionalem Gemüse, eingelegtes scharfes Gemüse, Reis und Papadam (was mich zudem an frittiertes gewürztes armenisches Lavash erinnert). Das Spannende ist, dass das Gemüse im Dal Bhat jedes Mal unterschiedlich ist, je nachdem was aktuell im Garten wächst, wie zB. Farne.
Witzig war auch, dass das gekochte Essen weniger gewürzt oder aromatisch schmeckte, je touristischer das Dorf oder die Unterkunft wurde. Wir mussten extra darum bitten, dass die Köche ihre authentisch scharfen Soßen statt Ketchup auspacken.
Für den westlichen Normalo-Organismus ist die Küche stoffwechselmäßig oftmals ein großer Umstieg und auch wir hatten teils mit einem sogenannten Delhi belly zu kämpfen (aka Blähungen, Durchfall, Magenkrämpfe).
Unser #1 Gesprächsthema.
Der Klogang war bis zum letzten Tag unseres Treks ein eigenes Abenteuer, nicht nur weil wir abwechselnd mit Durchfall und Verstopfung gesegnet wurden, sondern auch weil in Nepal Hocktoiletten die Norm sind. Neben der "Schüssel" ist für gewöhnlich ein Wasserhahn und ein Eimer um die Toilette zu spülen und sich zu reinigen (was ich mit einer Klopapierrolle gewappnet stets gekonnt ignoriert habe). Wenn der Toilettenboden flach war und der 5. Wassereimer die letzten Reste nicht weggespült hat, musste man leise aber rasch aus der Toilette flüchten, damit das Verbrechen nicht auf einen zurückgeführt werden konnte. Das in Kombination mit dem häufigen Ausbleiben von Strom (also Licht und Wärme) in der Gegenwart von exotischen (Super-)Spinnen und anderen nicht-identifizierbaren Insekten sorgte an dem ein oder anderen Abend vorm Schlafengehen für einen letzten Adrenalinkick.
Maybe the real treasure was the friends we made along the way.
Unser Guide erzählte mir eines Tages, dass sein Job nicht leicht ist, weil er bei seinen Trips so viele Menschen kennenlernt, zu denen er unter den gefährlichen und unberechenbaren Bedingungen starke emotionale Bindungen aufbaut (Trauma Bonding yay), nur um sich von ihnen zu trennen und sie vermutlich nie wieder zu sehen.
Während ich über all die Bekanntschaften, die wir auf unserer Reise geknüpft haben, nachdenke, kann ich seine Worte sehr gut nachempfinden.
Buddhason, der uns mit unserem Gepäck geholfen hat, als wir am Boden waren.
Die Deutschen, die wir in Deng kennengelernt haben. Ich kann mich an eine selbstbewusste Madam speziell erinnern, die sich jeden Abend uneingeladen zu den anderen Trekkern gesetzt hat, um mehr über deren Heimatländern zu erfahren.
Die mutige Holländerin Iris, die wir an ihrem ersten Tag mit unseren Klogeschichten verstört haben und die uns in Knack vernichtet hat.
Die entspannten Russen, die in Daramsala bis spät am Abend Durak gespielt haben.
Als wir am letzten Tag unserer Reise unseren Guide entlohnen mussten, das Geld auf die Schnelle jedoch nicht aufbringen konnten, weil die Banken in KTM aufgrund eines spontanen Feiertages geschlossen hatten, meinte unser Guide, dass wir die Transaktion einfach online machen sollen und in Ruhe nach Hause fliegen sollen:
"It´s not only about the money, it´s about the friends we made.."
Und ich war erstaunt. Er hat so viel Zeit und Energie in den Wochen in dieses Abenteuer investiert, und sein Vertrauen und seine Zuneigung zu uns wirkte dennoch stärker als sein Interesse für die Vergütung.
Faith in Humanity restored.
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